Stand 12/2020

Ein langsamer und holpriger Weg bis zur Erholung
Wir gehen davon aus, dass sich die deutsche Automobilbranche weiterhin langsam und nur zögerlich erholen wird. Das wird den Wettbewerb intensivieren, die aufgrund der strukturellen Herausforderungen erforderlichen Anpassungen beschleunigen und letztlich die Finanzkennzahlen der meisten Unternehmen unter Druck setzen (insbesondere die der inländischen Einzel- und Großhändler und, was noch wichtiger ist, auch die der Zulieferer).

Der Inlandsmarkt: Keine Rückkehr zum Vorkrisenniveau in Sicht, trotz des Siegeszuges der Elektrofahrzeuge (EVs)
Der Inlandsmarkt, Europas Markt Nummer eins, dürfte bis Ende 2020 mit einem Rückgang der Neuzulassungen von Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen um -22% auf 3,1 Mio. Ein-heiten jährlich abschließen, gegenüber 4,0 Mio. Einheiten im Jahr 2019. Der Ausbruch von Covid-19 führte zu einer massiven Einschränkung der Mobilität und zur Schließung von Autohändlern, Ausstellungsräumen, Automessen und Fabriken und verstärkte so den schwachen Jahresauftakt noch einmal dramatisch (-47% y/y im zweiten Quartal). Das dritte Quartal verzeichnete einen schwächeren Rückgang (-7% y/y) dank der Lockerung der Einschränkungsmaßnahmen und der Wiedereröffnung von Händlern/Ausstellungsräumen und Registrierungsstellen, die beide zu einer Verbesserung beitrugen; sowie der von der Politik eingeführten Unterstützungsmaßnahmen (d.h. die Verdoppelung der finanziellen Anreize für Käufe von Elektrofahrzeugen (EVs) und die vorübergehend eingeführte Mehrwertsteuersenkung von -3%). Dies dies wird jedoch die vorherigen Rückgänge nicht ausgleichen (das Jahresergebnis verzeichnet einen Einbruch von -21% per November).

Global gesehen erwarten wir, dass sich die Wirtschaft nicht ausreichend erholen wird, um die Nachfrage nach Neufahrzeugen auf nationaler Ebene stark anzukurbeln. In der Tat ist Deutschland ein Markt, der hauptsächlich durch den Ersatzbedarf angetrieben wird: Autokäufe haben für die Mehrheit der Haushalte wenig Priorität, wenn die Aussichten in Bezug auf Beschäftigung und Löhne unsicher sind oder ungünstig bleiben, selbst wenn der zunehmende Wunsch der Verbraucher nach einer "grüneren" Mobilität den Aufschwung des EV-Segments unterstützt. Letzteres erreichte bereits im September einen Rekordmarktanteil von 15,6%. Die für 2021 erwartete Erholung des Inlandsmarkts (+14% y/y) würde den Abschwung von 2020 nur teilweise kompensieren und wäre nur von kurzer Dauer: Der Markt würde das Rekordniveau von vor der Krise nicht wieder erreichen und in den kommenden Jahren unter 3,6 Mio. Ein-heiten pro Jahr bleiben.

Eine hohe Abhängigkeit (und Konkurrenz) von wichtigen internationalen Märkten
Auf der Exportseite, die für die meisten deutschen Automobilhersteller und -zulieferer von entscheidender Bedeutung ist (Exportanteil der deutschen Automobilindustrie im Zeitraum 2015-2019: durchschnittlich 64,5%), werden die Unternehmen weiterhin mit einer ungleichmäßigen Erholung der Nachfrage in den Schlüsselmärkten konfrontiert sein. In Europa und den USA wird der (Preis-)Wettbewerb hart geführt werden, da beide Märkte im 2. Halbjahr 2020 weiter rückläufig sein dürften und ihre Jahresleistung auf -27% bzw. -15% zurückgehen wird. Beide Märkte werden sich im Jahr 2021 wieder erholen (+14% bzw. +10%), aber keiner der beiden Märkte wird in den kommenden Jahren sein Vorkrisenniveau wieder erreichen.
Günstiger sind die Aussichten in China, dem größten Markt (28% des Gesamtmarktes im Jahr 2019) und, was wichtig ist, dem Land mit der stärksten Erholung nach dem Lockdown. Dank eines früheren Endes der Mobilitätseinschränkungen und dank Erstkäufern, die von öffentlichen Verkehrsmitteln oder gemeinsam ge-nutzter Mobilität auf den privaten Pkw umgestiegen sind, verzeichnete der chinesische Markt von April bis November 2020 acht aufeinander folgende Monate der Erholung und dürfte das Jahr mit einem Rückgang von -2% abschließen, bevor er 2021 um +12% auf 28,3 Mio. Einheiten ansteigt. Die deutschen Fahrzeughersteller sind gut positioniert, um von diesem Erholungstrend zu profitieren, da dieser auch im Premiumsegment stattfindet und die meisten von ihnen einen relativ hohen Anteil ihres Absatzes in China haben (zwischen 30% und 40% für VW, Daimler und BMW).

Was bedeutet das für Unternehmen? Sowohl ein strengeres Liquiditätsmanagement als auch hohe Investitionen in zukünftige Trends, um sich eine führende Position zu sichern.
Der globale Kontext und die Aussichten erfordern ein strengeres Liquiditätsmanagement. Bereits in den Jahren 2018 und 2019 führte der Transformationsprozess in der Branche zu niedrigeren Margen, wobei die Ebitda-Marge im Vergleich zu 2017 für Hersteller und Zulieferer auf globaler Ebene um -0,9pp bzw. -1,4pp gesunken ist. Im Jahr 2020 beeinträchtigte der Covid-19-Ausbruch stark mit fehlenden Volumina. Die ersten neun Monate des Jahres sind in der Folge von einem massiven Einbruch bei Umsätzen und Margen gekennzeichnet, trotz einer Verbesserung in 3. Quartal: OEM-Hersteller büßten rund 18% der Umsätze ein, Zu-lieferer -20%, die Reifenindustrie -18% und die Autovermietung sogar -43%. Das beeinflusste auch das operative Ergebnis in allen Sparten negativ: Das E-BITDA brach bei den OEM um rund ein Drittel ein (-34%), bei Zulieferern um die Hälfte (-50%), -29% bei der Reifenindustrie und mit -87% am dramatischsten in der Autovermietung. Der Abbau von Lagerbestän-den ist kurzfristig hilfreich, ebenso wie die schnellere Einführung neuer Modelle nach Wiederaufnahme der Produktion. Der Verkauf schadstoffarmer Fahrzeuge führt jedoch bisher zu niedrigeren Margen im Ver-gleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.

All dies zwingt die Unternehmen zu Personalabbau und Stellenkürzungen, zur Anpassung ihrer Portfolios und Produktionskapazitäten (sowohl in Bezug auf Produkte/Marken als auch auf Länder) und zum „Finetuning“ ihrer Investitionspläne. Ziel ist es, ihre Finanzen in Bezug auf drei Punkte zu schützen: (i) Der Ausbruch von Covid-19 hat zu einer zusätzlichen Kostendämpfung geführt und die Notwendigkeit verstärkt, Risiken im Zusammenhang mit den Umsetzungsstrategien und Lieferkettenverbindungen anzugehen, die bereits 2018- 2019 im Zusammenhang mit den Tarifen entstanden sind; (ii) das Risiko von Geldstrafen im Zusammenhang mit der Einhaltung der CO2-Vorschriften in der EU wird den Wettlauf am Jahresende zur Erreichung des 2020-Ziels einschränken; (iii) die mittelfristigen Herausforderungen bleiben bestehen, die Mobilität durch Investitionen und Inn vationen in den Bereichen Elektrifizierung, Vernetzung und autonomes Fahren voranzubringen. Diese Investitionen in zukünftige Trends werden kurzfristig die Rentabilität beeinträchtigen, sollten aber die führende Position in diesen Bereichen sichern. In diesem Zusammenhang ist erwä nenswert, dass wir schätzten, dass vor dem Ausbruch des Coronavirus bereits fast 14% der KMU und MidCaps in der Automobilindustrie (He steller und Zulieferer) in Deutschland gefährdet waren und dass die Krise sie nur noch früher in die Zahlungsunfähigkeit treiben würde.

Wir gehen davon aus, dass der Großteil der Risiken auf kurze Sicht in zwei Segmenten bestehen bleiben wird: Erstens die (unabhängigen) Einzel- und Großhändler: Sie verzeichneten vor der Krise eine begrenzte Marge (zwischen 0 und 1%); die Wiedereröffnung der Ausstellungsräume und Registrierungsstellen nach dem Lockdown hat ihren Umsatz im Vergleich zum Vorkrisenniveau nur teilweise verbessert; sie leiden immer noch unter den Lagerbeständen an mit Dieselmotoren ausgerüsteten Fahrzeugen und sehen sich nun der Konkurrenz neuer Marketingkonzepte (online) der Autohersteller ausgesetzt. Zweitens die Zulieferer, die insgesamt mehr als 1.000 Unternehmen mit einem kumulierten Umsatz von 90 Milliarden Euro und 300.000 Beschä tigten umfassen und für 75% der Wertschöpfung des Automobilsektors verantwortlich sind. Die Tier-2- und Tier-3-Zulieferer, insbesondere die Nicht-EV-Akteure sowie die kleineren Unternehmen, stehen besonders in der Schusslinie, vor allem in Süddeutschland: Sie sind nach wie vor stark von herkömmlichen Antriebsarten abhängig und verfügen nicht über genügend finanzielle Mittel, um eine Neuausrichtung mit wettb werbsfähigen Produkten in der neuen Welt der Elektrofahrzeuge zu bewältigen. Die Tier-1-Zulieferer sind im Durchschnitt finanziell stärker aufgestellt, um den Wandel vom Verbrennungs- zum Elektroantrieb zu meistern, aber wir erwarten einen höheren Druck seitens der Autohersteller und die Notwendigkeit einer globalen Präsenz. Die Autohersteller selbst sind weit davon entfernt, immun zu sein: Sie sind gefährdet, wenn sich ihre Abhängigkeit von den asiatischen Batterien verstärken würde, oder allgemeiner gesprochen, wenn sie ihre Geschäftsmodelle nicht an die neuen Trends anpassen.

Großinsolvenzen 2020 mehr als verdoppelt
Dass die Probleme und Herausforderungen in der Automobil-industrie nicht neu sind, zeigt die Entwicklung bei den Großinsolvenzen in den ersten neun Monaten. Deutschlandweit verzeichnete Euler Hermes von Januar bis September 2020 insgesamt 43 große Insolvenzen (Umsatz >50 Mio. EUR). Im Vorjahreszeitraum waren es noch 27 Groß-Pleiten. Auffällig ist die Häufung neben dem textilen Einzelhandel vor allem in der Au-tomobil- und Metallindustrie. In den ersten neun Monaten des Jahres verzeichnete die Automobilindustrie mit zehn großen Insolvenzen mehr als doppelt so viele Fälle gezählt als im Vorjahreszeitraum mit vier Groß-Pleiten. Weitere 9 große Insolvenzen verzeichnete die Metallindustrie und demnach drei Mal so viele wie im gleichen Zeitraum 2019. Die beiden Branchen machten damit knapp die Hälfte aller großen Insolvenzen in Deutschland aus.

Quellen: IHS, Euler Hermes, Allianz Forschung

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