19. September 2018 - Für viele börsennotierte Unternehmen ist es eine Blackbox und sie bräuchten am besten eine Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen: Wie sicher sind offene Forderungen in den kommenden 12 Monaten, wer zahlt und wer vielleicht doch nicht? Und wie kann man das mathematisch herleiten? Was darf überhaupt auf Aktiva-Seite in der Bilanz gebucht werden?

Bisher brauchten Unternehmen keine hellseherischen Fähigkeiten bei der Bilanzierung. Es reichte aus, Wertberichtigung auf Basis von Erfahrungswerten der Vergangenheit vorzunehmen. Sie konnten die tatsächlichen Ausfälle von Forderungen, also den „Incurred Credit Loss“, zugrunde legen und diesen theoretisch 1:1 auf die Zukunft fortschreiben. Wertberichtigungen „über den Daumen gepeilt“ nach dem (oft sehr guten) Bauchgefühl der Finanzchefs. Signifikante Abweichungen gab es trotzdem oft. Die Zukunft ist eben nicht die Vergangenheit und umgekehrt, schon gar nicht im „Auf und Ab“ des Konjunkturzyklus‘.

Bilanzierung „über den Daumen gepeilt“ reicht nicht mehr
Seit 1. Januar ist jedoch alles anders: Die neue Bilanzierungsrichtlinie IFRS9 ist für börsennotierte Unternehmen in Kraft getreten. Über den Daumen gepeilt reicht nicht mehr aus. Jetzt muss wirklich die Glaskugel her, um Licht ins Dunkel zu bringen. Oder eben ein mathematisches Modell, um künftige Ausfallwahrscheinlichkeiten fundiert zu berechnen. Nach IFRS müssen Unternehmen nun den „Expected Credit Loss“ bei der Bildung von Wertberichtigungen auf offene Forderungen zugrunde legen.

Unternehmen benötigen ein systematisches, hoch standardisiertes Verfahren zur Berechnung dieser Ausfallwahrscheinlichkeiten – weltweit, für alle Länder, Märkte und für alle Gesellschaften. Plötzlich sind bei den Treasurern also finanz- und versicherungsmathematische Berechnungskompetenzen gefragt, um ein eigenes Berechnungsmodell zu entwickeln.

Eigene „Mini-Kreditversicherung“ im Unternehmen muss her
Selbst das Modell alleine reicht noch lange nicht. Konzerne sind weltweit tätig und beliefern Abnehmer in unterschiedlichsten Branchen und Ländern. Jeden Abnehmer genau zu kennen ist praktisch unmöglich. Sie müssen sich also eine eigene „Mini-Kreditversicherung“ aufbauen und konzernweit für alle Märkte große Mengen an Daten erheben, analysieren und validieren. Forderungssalden der Abnehmer mit einer entsprechenden Bewertung und unter der Berücksichtigung der Fälligkeiten, die Bewertung von Sicherheiten und Kreditversicherung, Daten zur Klassifizierung & Rating, Ausfallwahrscheinlichkeiten, Insolvenzrückflussquote und Diskontierungszins. Am Ende muss alles noch dokumentiert werden. Und es muss der Stempel des Wirtschaftsprüfers her, der die mathematische Berechnung auf Herz und Nieren prüft.

Ein Aufwand, den viele Finanzabteilungen von Konzernen kaum leisten können – weder von der Manpower und dem Zeitaufwand noch von der normalerweise vorhandenen Expertise. Zumal die Berechnung auch für 2017 erstellt werden muss, um entsprechende Vergleichswerte aus dem Vorjahr zu haben.

Warum ist das eigentlich so wichtig, bisher ging es doch auch aus dem Bauchgefühl heraus? Mehr Transparenz für Investoren ist sicherlich ein Grund. Wer will auf der folgenden Bilanzpressekonferenz schon böse Überraschungen erleben?

Bilanzpressekonferenzen ohne böse Überraschungen
Ein fiktives Unternehmen ist beispielsweise in einer eher schwierigen Branche tätig wie etwa Metall-, Energie-, Transport- oder Textilbranche. Es weist derzeit offene Forderungen in Höhe von 100 Millionen Euro aus. Da es in der Vergangenheit aber nur moderate Ausfälle hinnehmen musste, liegen die Abschreibungen auf diese Forderungen bei 1 Million Euro, also bei einem Prozent der ausstehenden Zahlungen.

Es ist gut möglich, dass gerade in Branchen, in denen sich Volatilität und Risiken derzeit erhöhen, für Konzerne künftig ein höherer Abschreibungsbedarf entstehen könnte als in der Vergangenheit. Das gleiche gilt für bestimmte Länderrisiken oder die Kombination aus beiden Faktoren. Dann könnte der Abschreibungsbedarf in einigen Fällen auf beispielsweise zwei bis drei Prozent steigen.

Ohne ein Gegensteuern durch das Hinterlegen von Sicherheiten oder einer Kreditversicherung würde dies direkt das Eigenkapital und gegebenenfalls auch das Ergebnis und die Dividendenzahlungen an Aktionäre belasten. Deshalb ist die von IFRS 9 geforderte Transparenz umso wichtiger, um eine möglichst exakte Kalkulation der erwarteten Zahlungsausfälle anzustellen und damit entsprechend realistische Wertberichtigungen in der Bilanz auszuweisen – ohne böse Überraschungen bei der folgenden Bilanzpräsentation.

Lösungen sind gefragt – aber rar

Bisher haben faktisch aber nur wenige Unternehmen adäquate Lösungen gefunden. Sie gehören zur Minderheit. Einige Unternehmen haben das Thema „auf die lange Bank“ geschoben, in der Hoffnung, dass es sich in Luft auflöst. Jetzt kommt es aber wie ein Bumerang zurück.

Andere wiederum haben ein Modell entwickelt, das aber nur teilweise oder in wenigen Fällen gar nicht von Wirtschaftsprüfern anerkannt wird. Der Zeitdruck steigt. Es gibt zudem noch immer keinen systematischen Bewertungsansatz seitens der Wirtschaftsprüfer, sodass Lösungen immer noch kundenindividuell und vielfach komplex sind.

Es geht aber auch weniger aufwendig. Denn eine dritte Gruppe an Unternehmen fragt einfach jemanden, der sich damit auskennt und die unabhängige, nach ISAE 3402 zertifizierte Bewertung des ganzen Portfolios zum Stichtag buchungsfertig erstellt. Garantiert akzeptiert vom Wirtschaftsprüfer. Die Glaskugel wird dann zum Wunschtermin geliefert – mit Stempel drauf, dass auch alles stimmt, was sie so an Prognosen ausgibt. IFRS geht auch ganz einfach.

Bildrechte/Copyright: A. Wyron / Unsplash
Immer auf dem Laufenden bleiben mit dem Newsletter von Euler Hermes!