Die Weltwirtschaft steht aktuell vor Herausforderungen, die es so vielleicht noch nie gegeben hat – und die sich in rasanter Geschwindigkeit in Ausmaß und Anzahl erhöhen. Dirk Urbanek berät und betreut verschiedene Key Accounts bei Allianz Trade und ist daher laufend im Austausch mit großen Unternehmen. Er verrät uns, welche Themen die Unternehmen derzeit bewegen und wie diese sich in der aktuellen Situation absichern können.
Die Folgen einer Pandemie gepaart mit den Auswirkungen eines Krieges mitten in Europa, dazu eine Klimakrise, die Reaktionen erfordert – Risikomanager haben derzeit alle Hände voll zu tun.
Welche Themen sollten Unternehmen gerade jetzt besonders beachten? Und welche Lösungen können dabei helfen, die eigenen Geschäfte sicherer zu gestalten?
Lieferfähigkeit: Wettbewerbsvorteil mit Fallstricken
Gerade jetzt, in Zeiten gestörter Lieferketten, ist es ein Wettbewerbsvorteil, seine Kunden stets beliefern zu können. Viele Unternehmen füllen daher ihre Lager auf. Sie greifen dabei nicht nur auf ihre bekannten Lieferanten zurück, sondern suchen auch nach Alternativquellen.
Aber sind die neuen (und bestehenden) Lieferanten auch zuverlässig und finanziell solide aufgestellt? Was, wenn einer von ihnen auf einmal nicht mehr liefern kann, weil er insolvent ist? Standen früher eher Kunden im Fokus einer Prüfung ihrer Kreditwürdigkeit, sollten spätestens jetzt Lieferanten genauso umfassend geprüft werden.
Und: Gefüllte Lager kosten Geld – und binden Kapital. Wurde vorher beispielsweise noch ein Monatsumsatz vorgehalten, sieht man jetzt nicht selten Verdreifachungen in der Lagermenge. Steigende Einkaufspreise verstärken diesen Trend noch weiter.
Hinzu kommt: Neue Lieferanten verlangen nicht selten Vorauszahlungen oder andere Sicherheiten. Auch das muss entsprechend eingeplant werden.
Energiekosten: Der große Kostentreiber
Deutschland und die EU versuchen, sich unabhängiger zu machen von fossilen Brennstoffen insgesamt, und besonders von solchen aus Russland. Doch das geht nicht von heute auf morgen, und gerade das Thema Gas sorgt für große Unsicherheit. Wird Gas zukünftig gar rationiert und damit bestimmten Branchen der Gashahn abgedreht? Sicher ist nur eins: Die Energiekosten sind weiterhin einer der größten Kostentreiber für Unternehmen, und für viele von ihnen wird es darauf ankommen, ob sie diese Kosten – zumindest teilweise – an ihre Kunden weitergeben können.
Die Zinsen sind zurück
Vorbei sind die Zeiten, in denen Geld nichts kostete und im Überfluss zur Verfügung stand. Für die Nutzung von Kreditlinien müssen wieder Zinsen bezahlt werden – Tendenz steigend. Und gerade in solchen Krisensituationen gilt für die meisten Unternehmen: "Cash is king".
Forderungen steigen, Risiken auch
Die Forderungsvolumina von Unternehmen gegenüber Dritten erhöhen sich derzeit stark. Das liegt vor allem daran, dass die Werte der Mengen, die an Kunden verkauft werden, steigen. Dazu tragen neben den Energiekosten auch steigende Rohstoffpreise und erhöhte Transportkosten bei. Dazu kommt noch die Inflation. Ein Problem dabei: Häufig kosten Lieferantenkredite im Gegensatz zu Bankkrediten keine Zinsen. Es gibt sogar Unternehmen, die in Zeiten günstigen Geldes Skontomöglichkeiten aus ihren Kontrakten verhandelt haben. Und so werden Zahlungsziele derzeit nicht nur maximal ausgenutzt, sondern auch verstärkt überzogen.
Preisgleitklauseln: Kein Grund zur Entspannung
Gut, wer mit seinen Kunden Kontrakte geschlossen hat, die es ermöglichen, gestiegene Einstandspreise an Kunden weiterzugeben! Aber: Derartige Preisgleitklauseln bieten leider selten die Möglichkeit, Energiekosten und Zinskosten weiterzugeben.
Alternative Finanzierungen gefragt
Die Verlängerung des Umlaufvermögens führt derzeit zu stärkerer Nutzung und einem erhöhten Bedarf an Kreditlinien. Dazu kommen alternative Finanzierungen verstärkt zum Einsatz. So gewinnt Factoring derzeit weiter an Bedeutung. Gleichzeitig entlasten Unternehmen ihre Banklinien und sorgen für mehr Flexibilität, indem sie Bürgschaften und Avalkredite verstärkt von Bürgen aus dem Versicherungsmarkt nutzen.
Wer hat Systemrelevanz – und wer nicht?
Während der Coronakrise hat gerade Deutschland mit umfassenden Maßnahmen dafür gesorgt, dass sehr viele Unternehmen finanziell gestützt wurden. Diese Coronahilfen haben dazu geführt, dass die befürchtete Insolvenzwelle ausgeblieben ist. Das hat viel Geld gekostet – das nun nicht mehr da ist. Trotzdem hoffen viele Unternehmen auch jetzt weiter auf Hilfen durch den Staat.
Die aktuelle Energiekrise könnte den Staat in der Tat zwingen, die wichtigsten Versorgungsindustrien zu stützen – und möglicherweise bekommt „Systemrelevanz“ in diesem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung. Denn dann könnte sich die Frage stellen, inwieweit der Staat in allen Fällen die erhoffte Rettung geben will bzw. kann. Weitsichtige Unternehmen sollten hier rechtzeitig vorsorgen und nicht ausschließlich auf den Staat vertrauen.