14.10.2022 – Zusammenfassung

  • Wir schätzen, dass sich die derzeitige (durchschnittliche) fiskalische Unterstützung auf etwa 3 % des BIP in Europa beläuft (mehr als 475 Mrd. EUR, zusätzlich zu den 170 Mrd. EUR vor dem Konflikt). Es überrascht nicht, dass die fiskalische Reaktion in Ländern mit einer größeren energieintensiven Industrie und/oder einer stärkeren Gasabhängigkeit etwas höher ausfällt. In den meisten Ländern machen die gesamten Maßnahmen (z. B. Preisobergrenzen, Energiesteuersenkungen, Liquiditäts- und Eigenkapitalspritzen, staatlich garantierte Kredite und Entlassungsprogramme) etwa die Hälfte der Covid-19-Pakete aus. Da die Energiekrise - und damit auch der Inflationsschub für den Privatsektor - ihren Höhepunkt noch nicht überschritten hat, erwarten wir, dass die EU-Regierungen ihre Ausgaben weiter erhöhen werden. Die großen fiskalischen Sprünge liegen jedoch hinter uns, da der Handlungsspielraum angesichts steigender Zinssätze sehr viel enger geworden ist.
  • Die verfügbare steuerliche Unterstützung wird die Auswirkungen höherer Energiepreise auf das real verfügbare Einkommen abmildern und den Schlag auf die Nachfrage mildern, kann aber auch den Rückgang der Inflationsraten insgesamt verlangsamen. Wir schätzen, dass die derzeitigen Maßnahmen die Inflationsraten durch die Senkung der Energiepreise im Vereinigten Königreich am stärksten reduzieren (-3,7 Prozentpunkte im Jahr 2023), gefolgt von mehr als -2 Prozentpunkten in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Dadurch werden jedoch im Durchschnitt 1,7 % des BIP der Inlandsnachfrage "freigesetzt", da der Rückgang des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte im Jahr 2023 von durchschnittlich -4,3pp auf -1,7pp mehr als halbiert wird (mehr als 1.300 EUR pro Haushalt). Angesichts des derzeitigen Trends der realen Staatsausgaben (die in Spanien, dem Vereinigten Königreich und in geringerem Maße auch in Deutschland über dem Niveau vor der Pandemie und in Frankreich und Italien wieder auf dem Niveau vor der Pandemie liegen) und der aktuellen Haushaltspläne wird die Begrenzung des Rückgangs der Gesamtnachfrage den Inflationsrückgang verzögern. Ein Anstieg der Sparquote könnte jedoch die inflationären Auswirkungen dieser fiskalischen Maßnahmen abschwächen. Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der Eurozone und im Vereinigten Königreich im Jahr 2023 zwischen 5,6 % und 7,5 % liegen wird und damit immer noch weit über dem historischen Durchschnitt.
  • Steuerliche Unterstützungsmaßnahmen dürften dazu beitragen, dass in den nächsten vier Jahren nicht mehr so viele gefährdete Unternehmen zahlungsunfähig werden. Auf dem derzeitigen Niveau würden die Energiepreise die Gewinne der meisten Nicht-Finanzunternehmen praktisch zunichtemachen, da die Preissetzungsmacht angesichts der nachlassenden Nachfrage schwindet. Wenn die Unternehmen ein Viertel der Energiepreiserhöhungen an die Kunden weitergeben können, können sie einen Preisanstieg von unter +50 % in Deutschland und +40 % in Frankreich verkraften. Angesichts des Charakters der gegenwärtigen Krise haben sich die Regierungen dafür entschieden, den kriegsbedingten Anstieg der Energiepreise eher durch finanzielle Maßnahmen auszugleichen. Sowohl aus politischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen (hohe Verschuldung der Unternehmen in einem Umfeld steigender Zinssätze) könnte sich die Förderung der Verschuldung von Unternehmen zur Bewältigung der Krise als politischer Fehler erweisen. So können auch schwächere Unternehmen überleben: Der Anteil der schwachen Unternehmen im Vereinigten Königreich, Frankreich und Deutschland stabilisiert sich bei 17 %, 13 % bzw. 6 %, d. h. bei fast 42 000 Unternehmen im Vereinigten Königreich, 28 400 in Deutschland und mehr als 18 700 in Frankreich. Dies bedeutet, dass die Regierungen im Durchschnitt mehr als 4.500 KMU "retten" werden. Da die Maßnahmen jedoch nur einen wesentlich stärkeren Kostenanstieg ausgleichen, werden sie die Rentabilität der Unternehmen nicht zusätzlich steigern.
  • Die optimale politische Antwort auf die Energiekrise wäre eine rasche strukturelle Überarbeitung des europäischen Energiemarktes gewesen. Da wertvolle Zeit verloren ging, müssen die EU und die nationalen Regierungen nun auf die zweitbesten Optionen zurückgreifen, die auf einem Menü der EU-Kommission mit politischen Optionen basieren. Einige der wichtigsten Überlegungen sind: 1) Steuerliche Unterstützungsmaßnahmen auf nationaler Ebene sollten die Divergenz in der EU nicht verstärken, auch nicht durch Verzerrung des innereuropäischen Wettbewerbs. 2) In Fällen, in denen der fiskalische Spielraum begrenzt ist, könnte und sollte eine gemeinsame Kreditaufnahme allen EU-Mitgliedstaaten ermöglichen, eine angemessene fiskalische Antwort zu formulieren, ohne die nationalen Haushalte zusätzlich zu belasten. Die fiskalische Unterstützung muss jedoch zeitlich begrenzt und gezielt sein. 3) Eine nachhaltige Verringerung der Energienachfrage wird in einer sich abzeichnenden, länger andauernden Energieversorgungskrise unvermeidlich sein. Die Länder müssen einen Weg finden, den Gasverbrauch über die kurzfristigen Einsparungen hinaus zu senken (die derzeit bei nur 10 % liegen). Die Beibehaltung der Signalfunktion marktbasierter Preise spielt eine entscheidende Rolle für eine nachhaltige Selbstrationierung und erleichtert gleichzeitig eine effiziente Reallokation der Energienachfrage.