01.09.2022 – Zusammenfassung

  • Die explodierenden Gaspreise verschlimmern die ohnehin schon schwierige Situation: Die Zahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte in der EU28 ist bis Juni 2022 um mehr als 50 % gestiegen. Doch das Schlimmste steht noch bevor: Die drohende Gasknappheit könnte die Endkundenpreise um 200 % in die Höhe treiben und den Anteil der deutschen Haushalte, die Probleme haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen, bis Ende des Jahres auf 8,4 % verdreifachen.
  • Bereits eingeführte Gegenmaßnahmen wie Steuersenkungen und Preisobergrenzen weisen gravierende Mängel auf, nicht zuletzt, weil sie die Anreize zum Energiesparen verringern. Ein duales Preissystem könnte ein besserer Ansatz sein. Dies würde es jedem Haushalt ermöglichen, eine vorher festgelegte Energiemenge zur Versorgung seines Hauses zu einem administrierten Preis zu kaufen, während der gesamte weitere Energiebedarf zum Marktpreis gekauft werden müsste.
  • Über diese erste Schicht von Ad-hoc-Krisenmaßnahmen hinaus ist ein neuer Gesellschaftsvertrag erforderlich, um die regressiven Auswirkungen der Klimapolitik abzumildern und die grüne Transformation zu sichern. Die beste Lösung wäre die Einführung einer neuen Leistung, einer Art "Energiegeld", aber mit einer Besonderheit: Die Zahlung (in voller Höhe oder in kleineren Beträgen) erfolgt auf ein sogenanntes "Energiesparkonto", d.h. die Beträge werden nicht verbraucht, sondern (teilweise) gespart; diese Ersparnisse werden vom Staat aufgestockt. Auf diese Weise können zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, denn es kommt zu Verhaltensänderungen hin zu einem geringeren Energieverbrauch und zur Bildung finanzieller Rücklagen bei einkommensschwachen Haushalten.

Die Gaskrise droht, sich zu einem "Gasmageddon" zu entwickeln.

Energiearmut ist eine alte Geißel in der EU. Schon vor der heutigen Energiekrise hatten Millionen von Menschen aufgrund ihres geringen Einkommens, der hohen Preise und der schlechten Energieeffizienz Schwierigkeiten, ihre Häuser zu heizen und ihre Energierechnungen zu bezahlen. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Energiearmut (EPOV) der Europäischen Kommission waren im Jahr 2018 6,6 % der Haushalte in der EU28 nicht in der Lage, ihre Stromrechnungen rechtzeitig zu bezahlen (bekannt als Zahlungsrückstände bei Stromrechnungen) und liefen Gefahr, vom Stromnetz getrennt zu werden. Gleichzeitig konnten 7,3 % ihre Wohnungen nicht angemessen beheizen, und 16,2 % gaben mehr als das Doppelte des nationalen Medianwerts für Energiekosten in Prozent des Einkommens aus.

Die Situation hat sich in diesem Jahr erheblich verschlechtert, da die Invasion in der Ukraine die Gaspreise auf ein Niveau explodieren ließ, das seit über einem Jahrzehnt nicht mehr erreicht wurde. Im Durchschnitt sind die Gaspreise für Privathaushalte in der EU gegenüber 2021 um +22 % gestiegen. In Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden sind die Gaspreise jedoch um +58 %, +83 % bzw. +85 % in die Höhe geschnellt.

Infolgedessen ist die Zahl der Haushalte in Energiearmut in der EU28 bis Juni 2022 um mehr als 50 % gestiegen. In den Niederlanden beispielsweise stiegen die Zahlungsrückstände von 1,2 % im Jahr 2021 auf 3,9 % im Jahr 2022 – ein Rekordhoch für das Land, seit die Europäische Kommission 2005 mit der Erfassung dieser Statistiken begann. Im Vereinigten Königreich stieg der Wert von 4,7 % auf 7,1 % und in Deutschland von 2,4 % auf 4,0 %. Die einzige Ausnahme ist Frankreich, wo eine Reihe von Maßnahmen, einschließlich direkter Eingriffe in den Gasmarkt, die Zahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte niedrig gehalten hat (siehe Anhang für einen Überblick über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Gaskrise).