Kann Europa ohne russisches Gas auskommen?

03.03.2022 - Dank des relativ milden Winters verfügt Europa über Gasvorräte für etwa einen Monat. Aber was können wir sonst tun, außer auf wärmeres Wetter zu setzen?

Der Verzicht auf Gasimporte aus Russland, die 36 % der gesamten Gasversorgung der EU ausmachen, wird für Europa nicht einfach sein. Wir schätzen die gefährdete Energiemenge in der EU auf fast 10 % des Endverbrauchs. In Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Lettland und Deutschland hängen mehr als 20 % des Endenergieverbrauchs von Gas aus Russland ab. Kurzfristig verfügt Europa nach unseren Berechnungen über Reserven von etwa einem Monat, die dank des relativ milden Winters bis Ende März reichen dürften. Aber die EU wird ihre Vorräte vor dem nächsten Winter wieder auffüllen müssen. Die Umstellung der Versorgung - mit der weitere zwei Wochen überbrückt werden könnten - erfordert eine deutliche Steigerung der Importe aus anderen Ländern, eine Erhöhung des Angebots an anderen energetischen Ersatzstoffen und/oder eine Verringerung der Gasnachfrage (Erdgas sowie Strom und Wärme aus Erdgas).

Zieht man Parallelen zu dem 27%igen Verlust an Strom aus Kernkraft in Japan nach Fukushima und analysiert die Reaktion von Angebot und Nachfrage auf Preiserhöhungen, so stellt man fest, dass die Erwartung einer dauerhaften Strompreiserhöhung von +40% und einer Gaspreiserhöhung von +100% die Nachfrage um 8-10% senken und das Energieangebot aus Erdgas und seinen Substituten kurzfristig um 8-10% erhöhen würde, um den Gesamtverlust der russischen Gasimporte auszugleichen. Die EU-Endkundenpreiserhöhung von +30 % für Strom und +50 % für Gas in den 12 Monaten bis Januar 2022 ist bereits ein Schritt in diese Richtung.

Europa braucht jetzt mehr denn je einen ehrgeizigen und koordinierten Aktionsplan, um die Energiesicherheit für den nächsten Winter zu gewährleisten. Die Wiedererlangung der Energiesouveränität erfordert die Verpflichtung, die Erzeugung erneuerbarer Energien in der EU innerhalb von sechs Jahren um 1 Exajoule (278 TWh) pro Jahr oder um die Menge der russischen Gasimporte zu steigern. Dies würde jährliche Investitionen von 170 Mrd. EUR oder 1,3 % des BIP der EU erfordern. Unser Vorschlag sieht für den größten Beitragszahler, Deutschland, einen Zuwachs von 44 TWh pro Jahr vor, was mit den mittelfristigen Zielen der angekündigten Überarbeitung des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes übereinstimmt.