30.09.2022 – Zusammenfassung

In den letzten Jahren schien die Aufnahme von immer mehr Krediten durch die Regierungen der Eurozone immer weniger eine Rolle zu spielen, da sinkende Zinssätze die hohen und steigenden Schuldenstände weniger belastend machten. Die Dynamik der Staatsverschuldung wird sich jedoch deutlich verschlechtern, wenn die EZB die Zinssätze anhebt, um die grassierende Inflation zu bekämpfen. Nun richten sich alle Augen auf die neuen Haushaltsankündigungen mehrerer Regierungen der Eurozone.

Da die Geldpolitik zunehmend restriktiver wird, müssen die Finanzminister ein heikles Gleichgewicht zwischen der Ausweitung der gezielten fiskalischen Unterstützung und der potenziellen Ausschöpfung des verfügbaren fiskalischen Spielraums in einer Zeit finden, in der das Wachstum abnimmt und die Refinanzierungskosten steigen.

Bislang deuten die angekündigten Haushaltsbudgets auf eine starke Krisenunterstützung bis zum nächsten Jahr hin, auch auf die Gefahr hin, dass sich die Haushaltsanpassung verzögert. Wir erwarten, dass die Haushaltsdefizite in allen großen Volkswirtschaften der Eurozone zurückgehen werden, mit Ausnahme von Frankreich (5,5 % des BIP). Die französische Regierung hat soeben ihren Haushaltsentwurf für 2023 veröffentlicht, der eine Ausweitung der Unterstützungsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen vorsieht, aber insgesamt eine Senkung der realen Ausgaben impliziert.

In unserer neuen Studie bewerten wir die Folgen der neuen Schuldenrealität in den vier größten Ländern der Eurozone, indem wir den erwarteten Schuldenpfad über einen 15-Jahres-Horizont projizieren. Unsere wichtigsten Erkenntnisse sind:

  • Die größten Volkswirtschaften werden Schwierigkeiten haben, ihre hohe Staatsverschuldung abzubauen. In Frankreich, Italien und Spanien wird die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sogar noch steigen. Deutschland hingegen wird seine Position als finanzpolitischer Ausreißer festigen, indem es seine Schuldenquote bis 2028 unter die 60%-Marke drückt.
  • Steigende Refinanzierungskosten werden die Schuldentragfähigkeit zusätzlich belasten. Unter der Annahme, dass sowohl die öffentlichen Schuldenquoten als auch die durchschnittliche Laufzeit der Staatsverschuldung in den nächsten 15 Jahren konstant bleiben, bedeutet ein dauerhafter Anstieg des Zinsniveaus um 200 Basispunkte, dass sich die Zinsausgaben im Verhältnis zum BIP bis 2030 in Deutschland auf 1,4 %, in Frankreich auf 2,3 %, in Spanien auf 2,4 % und in Italien auf satte 3 % summieren werden. Um diese Zahlen in die richtige Perspektive zu rücken: In Italien und Spanien übersteigt die zusätzliche Haushaltsbelastung die gesamten öffentlichen Investitionen in Relation zum BIP im Jahr 2019.
  • Um den bevorstehenden "Zinskater" zu vermeiden und den fiskalischen Spielraum für Ausgaben für den grünen und digitalen Wandel zu bewahren, brauchen die Regierungen eine viel größere Haushaltsdisziplin und/oder ein höheres Nominalwachstum. Die aktuellen Schuldenquoten in Frankreich (113 %), Italien (151 %) und Spanien (118 %) erfordern jedoch eine gewaltige Anstrengung zur Haushaltskonsolidierung, d. h. eine spürbare Verringerung des Primärdefizits. Bezogen auf seinen finanzpolitischen Kurs im Jahr 2023 wäre die größte Anpassung in Frankreich erforderlich. Umgekehrt müssten anfällige Länder wie Italien ihr Potenzialwachstum fast verdoppeln, um den Schuldenstand zu senken, wenn eine Haushaltsanpassung nicht möglich ist.