Extremrisiken steigen laut dem Konjunkturbericht von Euler Hermes „High Stakes Game“ durch weltweit neue Rekorde an Liquiditätsbeständen, lange Forderungslaufzeiten und zunehmende Großinsolvenzen

  • Kumulierter Umsatz der 20 größten Insolvenzen weltweit beziffert sich im ersten Quartal auf 13,4 Mrd. Euro
  • Neue globale Liquiditäts-Rekordsumme mit 7 Billionen USD in Unternehmensbilanzen außerhalb des Finanzsektors
  • Zahlungsmoral bleibt angespannt: Chinesische Unternehmen verzeichnen mit einer durchschnittlichen Forderungslaufzeit von 89 Tagen einen Höchststand seit neun Jahren

Hamburg, 12. Juli 2017 – Laut Euler Hermes, dem weltweit größten Warenkreditversicherer, steht die globale Wirtschaftsdynamik vor großen Herausforderungen. Das belegt der aktuelle Konjunkturbericht “High Stakes Game“, in dem die Analysten von neuen Rekordständen der Bargeldbestände in Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ausgehen (1). Zudem leiden Unternehmen weiterhin unter hohen Zahlungsverzügen (2), während Insolvenzen bei Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro weiter stark ansteigen (3).

"Im Umfeld einer weltweit stabilen Lage und einer endlich anlaufenden konjunkturellen Erholung lauert damit ein hohes Maß an Divergenz und Risiko", sagte Ludovic Subran, Chefökonom bei Euler Hermes. "Die Situation spitzt sich durch die Konzentration von Bargeldbeständen auf Rekordniveaus in einigen Regionen und Industrien zu, während das Ausmaß und die Häufigkeit von großen Unternehmensinsolvenzen weiter zunimmt.“ Als Beispiele nennt er die Großinsolvenzen im Einzelhandel und dem Dienstleistungssektor, insbesondere in den USA, aber auch steigende Unternehmenskonkurse in China und Brasilien sowie längere Zahlungsverzüge in China und der Luftfahrtindustrie. „Die Extremrisiken nehmen zu. Das müssen wir in den kommenden Monaten aufmerksam beobachten“, so Subran.

74 Konzern-Insolvenzen weltweit im ersten Quartal 2017

Insgesamt gehen die Analysten von Euler Hermes in diesem Jahr von einem Rückgang der weltweiten Insolvenzen um 1% aus, bevor sie 2018 wieder um 1% ansteigen dürften. Allerdings werden die durchschnittlichen Konkurse laut der Studie in 20 Ländern über den Durchschnitt vor der Finanzkrise 2008 steigen. Nach einem deutlichen Rückgang der Insolvenzen in den vergangenen drei Jahren ist das globale Bild von uneinheitlichen regionalen Entwicklungen geprägt. Auch gab es einen starken Anstieg der Insolvenzen von Großunternehmen im ersten Quartal 2017.

So mussten im ersten Quartal dieses Jahres weltweit 74 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro Insolvenz anmelden. Das sind 30 mehr als in den ersten drei Monaten des Vorjahres. Der kumulierte Umsatz der insolventen Konzerne belief sich auf insgesamt 19,1 Milliarden Euro und entspricht einem Anstieg um 34% gegenüber dem ersten Quartal 2016. Allein die größten 20 Insolvenzen stehen dabei für einen kumulierten Umsatz von rund 13,4 Milliarden Euro und damit für etwa 70% der gesamten Insolvenzsumme weltweit in diesem Zeitraum. Während acht dieser Großinsolvenzen in den USA registriert wurden, hatte Europa den höchsten Anstieg zu verschmerzen: bei durchschnittlich mehr als einem von drei der großen Insolvenzen war ein europäischer Konzern betroffen.

Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes Deutschland, warnt vor den konkreten Konsequenzen: „Die Insolvenz eines großen Unternehmens kann immer auch einen Domino-Effekt auslösen. Wenn Dienstleister in einer Wertschöpfungskette davon überrascht werden, können sie selbst in Schwierigkeiten geraten. Damit können große Konkurse beispielsweise von amerikanischen oder britischen Einzelhandelsunternehmen über Zulieferer auch die Elektronik- oder die Textilbranche anstecken. Kein Sektor kann von dieser Entwicklung ausgeschlossen werden. Deswegen sollte dieser Wake-Up-Call bestenfalls bei jedem CFO eines Unternehmens ankommen.“

Unter dem Druck der digitalen Veränderungen verzeichneten der Dienstleistungs- und Einzelhandelssektor mit jeweils 17 bzw.14 die meisten großen Unternehmenskonkurse im ersten Quartal 2017 und setzten damit den Trend der letzten vier Quartale fort. Der kumulierte Umsatz der insolventen Firmen in diesen Sektoren belief sich in den ersten drei Monaten 2017 auf jeweils 6,2 Mrd. EUR bzw. 5,2 Mrd. EUR. Mit keiner Insolvenz in diesem Zeitraum und nur einer in den vergangenen vier Quartalen erscheinen vor allem die Pharma-Konzerne und die Unternehmen aus dem Computer- und Telekombereich besonders solide aufgestellt.

Technologie-Unternehmen mit höchster Liquidität

Im letzten Jahr haben Liquiditätspositionen in Unternehmensbilanzen, die nicht zum Finanzsektor gehören, eine Rekordsumme in Höhe von 7 Billionen USD erreicht. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich das Bargeldvolumen damit von 3,5 Billionen USD verdoppelt. Der Anstieg entspricht einem Plus von fast 3% im Vergleich zu 2015 und von 34% im Vergleich zu 2010. In der Summe entspricht es mittlerweile fast 10% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Regional verteilt sich die hohe Liquidität vor dem Hintergrund von Steueroptimierungen zu 30% auf amerikanische Unternehmen, während chinesische Unternehmen ihr Bargeldvolumen seit 2010 verdoppelt haben. Der bemerkenswerteste Anstieg ist in den asiatisch-pazifischen Ländern zu verzeichnen, in denen der Anteil an den globalen Barreserven von knapp 36% in 2007 bis auf fast 44% in 2016 angestiegen ist. In Westeuropa liegt der Anteil deutlich darunter und verteilt sich uneinheitlich auf die verschiedenen Länder.

Der Technologiesektor hält nach der Studie von Euler Hermes das höchste Bargeldvolumen und überholt damit die Öl- und Gas- sowie die Automobilbranche. Das trifft vor allem auf die USA zu, wo Technologie-Unternehmen 71% des weltweiten Sektor-Barbestands halten. Damit entfallen 916 Milliarden Euro von insgesamt 2,1 Billionen USD, die US-Unternehmen in ihren Bilanzen ausweisen, auf Technologie-Unternehmen. Im Vergleich dazu sind die Liquiditätspositionen im Maschinen- und Anlagenbau sowie im Bereich der Haushaltsgeräte stark rückläufig. Diese Entwicklung werden die Experten von Euler Hermes weiterhin aufmerksam beobachten.

Obwohl das globale Wirtschaftswachstum die Cash-Generierung stützt, setzen Unternehmen ihren Spartrend angesichts der anhaltenden Unsicherheiten und Risiken fort. Mit global zunehmenden Investitionen und M&A-Aktivitäten könnte sich die Akkumulation von Barbeständen verlangsamen. Auch andere Entwicklungen können sich auf den Trend auswirken. Der Steuerrückführungsplan der US-Regierung könnte sich beispielsweise als bedeutend erweisen, wenn er Unternehmen anspornt, höhere Geldbeträge in die USA zurück zu bringen. Einer Produktionsverlagerung in die Vereinigten Staaten könnten Investitionen in Arbeitsplätze sowie in Forschung und Entwicklung folgen, während Renditeabhängige Unternehmen weiter Cash-Polster festhalten.

Chinesische Unternehmen mit Forderungslaufzeiten auf Rekordniveau

Im Umfeld zunehmender Großinsolvenzen und hohen Liquiditätsbeständen bleibt das Zahlungsverhalten der Unternehmen angespannt. 2016 mussten Unternehmen weltweit im Durchschnitt 64 Tage auf Forderungen warten. Die Analysten von Euler Hermes gehen davon aus, dass sich die globale Forderungslaufzeit (Days Sales Outstanding, DSO) auch in diesem Jahr beim Durchschnittswert von 64 Tagen einpendeln wird. Allerdings mussten 9% der Unternehmen im letzten Jahr im globalen Durchschnitt mehr als 120 Tage auf ihre Bezahlung warten.

Unternehmen in Neuseeland, Österreich, den Niederlanden, Dänemark, den USA, in der Schweiz und in Australien gehören mit Forderungslaufzeiten bis durchschnittlichen 50 Tagen Forderungslaufzeit zu denen, die am schnellsten bezahlt werden. Am längsten warten Firmen in der Türkei (durchschnittlich 80 Tage), in Italien (durchschnittlich 85 Tage), Griechenland (durchschnittlich 88 Tage) und China (durchschnittlich 89 Tage) auf den Geldeingang. Das neue Schlusslicht China hat damit den höchsten Stand seit neun Jahren erreicht.

Auch in Westeuropa warteten Unternehmen 2016 mit durchschnittlich 61 Tagen zumindest einen Tag länger auf ihre Forderungen. In den Mittelmeerländern hat sich die Zahlungsmoral jedoch insgesamt verbessert. Die Kluft zwischen den Forderungslaufzeiten in den verschiedenen europäischen Ländern scheint insgesamt kleiner zu werden.

Auf Sektorenebene liegen die Forderungslaufzeiten der „Upstream“-Industriebereiche wie der Chemieindustrie, Bauunternehmen, der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie im Maschinenbau über dem weltweiten Durchschnitt von 64 Tagen. Im Vergleich verzeichnete die Metallbranche nur durchschnittliche 56 Tage bis zum Zahlungseingang. Einzelhandelsunternehmen mit direkten Verkaufsstellen wie beispielsweise im Lebensmittel-, Haushaltsgüter- oder Transportsegment liegen für gewöhnlich auch unter dem weltweiten Durchschnitt.

(1) Grundlage der Auswertung: 30.500 börsennotierte Unternehmen an 94 Aktienmärkten
(2) Grundlage basiert auf der Auswertung der Bilanzen von 27.000 börsennotierten Unternehmen weltweit
(3) Analyse von Insolvenzständen in 43 Märkten


Detailliertere Analyse-Informationen zu weiteren Ländern und Branchen finden Sie im vollständigen Konjunkturbericht von Euler Hermes „High Stakes Game“.


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